Der Fall
Die Arbeitgeberin unterhielt einen aus zwei Betriebsstätten bestehenden Betrieb, in dem zuletzt insgesamt 25 Arbeitnehmer beschäftigt waren. Im Juni 2018 teilte sie den Arbeitnehmern mit, den Betrieb bis Ende August stilllegen zu wollen und kündigte daraufhin den Großteil der Arbeitsverhältnisse. Infolgedessen wählte die Belegschaft nach der Mitteilung, aber noch vor der Stilllegung des Betriebs erstmalig einen Betriebsrat. Dieser Betriebsrat forderte die Arbeitgeberin auf, Sozialplanverhandlungen aufzunehmen. Eine vom Arbeitsgericht eingesetzte Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand „Aufstellung eines Sozialplans wegen der Betriebsschließung“ hat sich daraufhin mit Spruch vom 17. Mai 2019 für unzuständig erklärt.
Der Betriebsrat wollte nun gerichtlich feststellen lassen, dass die Aufstellung eines Sozialplans wegen der Betriebsänderung in Form einer Teilbetriebsstilllegung oder einer Betriebsschließung durch die Arbeitgeberin seiner Mitbestimmung unterliegt.
Die Entscheidungsgründe des Gerichts
Das BAG hat diesen Antrag, ebenso wie die Vorinstanzen abgewiesen. Dem Betriebsrat stehe entsprechend der ständigen Rechtsprechung des BAG kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht auf Abschluss eines Sozialplans nach § 112 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 BetrVG zu, wenn dieser erst nach Beginn der Durchführung der Betriebsänderung gewählt wird.
Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates nach §§ 111 ff. BetrVG entstünden mit der „geplanten“ und damit noch in der Zukunft liegenden Betriebsänderung. Diese bilde sowohl bei einem Interessenausgleich als auch – hinsichtlich ihrer Folgen – bei einem Sozialplan den Gegenstand der Mitbestimmung. Solange der Arbeitgeber noch nicht mit der Umsetzung der Betriebsänderung begonnen hat, bestehe noch die Möglichkeit des Betriebsrats, auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen. Die Beteiligung des Betriebsrats soll also grundsätzlich vor der Durchführung der Betriebsänderung stattfinden.
Zudem gehe die Konzeption des BetrVG auch für das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Aufstellung eines Sozialplans erkennbar davon aus, dass dieser regelmäßig bereits vor Durchführung der Betriebsänderung verhandelt und vereinbart werden soll, da er nur dann seiner Befriedungs- und Ausgleichsfunktion in vollem Umfang gerecht werden könne.
Hinweise für die Praxis
Das BAG hält hier also an seiner bisherigen Rechtsprechung fest. Der Arbeitgeber hat keine generelle Verpflichtung mit einer an sich beteiligungspflichtigen Maßnahme so lange zu warten, bis im Betrieb ein funktionsfähiger Betriebsrat gebildet ist.
Diese Rechtsprechung und gerade die Argumentation mit dem Vertrauensschutz des Arbeitgebers ist allerdings nicht unumstritten.
Nicht zuletzt deshalb hat der DGB dies in seinem neuen Reformvorschlag zum BetrVG (zum Vorschlag) berücksichtigt und schlägt einen neuen § 113a BetrVG vor, der Regelungen für die vorliegende Konstellation trifft. Danach entfallen bei einem Betriebsrat, der erstmalig zusammentritt, zwar Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs, wenn wesentliche Teile der geplanten Betriebsänderung bereits umgesetzt sind. Die Aufstellung eines Sozialplans kann hingegen verlangt werden, bis die Betriebsänderung vollständig abgeschlossen ist.
Vorschlag: § 113a Betriebsrat in Gründung
(1) Tritt ein Betriebsrat erstmalig zusammen, wenn wesentliche Teile der geplanten Betriebsänderung bereits umgesetzt sind, so entfällt das Mitbestimmungsrecht über den Interessenausgleich.
(2) Ein Sozialplan kann verlangt werden, bis die Betriebsänderung vollständig abgeschlossen ist. Er umfasst auch bereits ausgeschiedene Arbeitnehmer*innen.
Es bleibt also abzuwarten, ob und wie der Gesetzgeber auf diesen Reformvorschlag eingehen wird. Anderenfalls ist für den Abschluss eines Sozialplans weiterhin die frühzeitige Bildung eines Betriebsrats erforderlich und nicht nur aus diesen Gründen zu empfehlen.