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Fragen und Antworten rund um die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung und das „Stechuhr-Urteil“

Nach langer Zeit des Wartens hat nun auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) auf die gerichtlichen Vorgaben reagiert und am 18.04.2023 einen ersten Referentenentwurf vorgelegt. Mit der Neuregelung soll die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung konkretisiert werden und eine gesetzliche Grundlage erhalten.

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Jun, 2023
Nach langer Zeit des Wartens hat nun auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) auf die gerichtlichen Vorgaben reagiert und am 18.04.2023 einen ersten Referentenentwurf vorgelegt. Mit der Neuregelung soll die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung konkretisiert werden und eine gesetzliche Grundlage erhalten.
Abschnitte:

Ab wann gilt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung?

Die Pflicht des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung besteht laut BAG bereits jetzt, also unabhängig von dem neuen Gesetzesentwurf bzw. dem zu erwarteten Gesetz. Sie ergibt sich bei unionsrechtskonformer Auslegung aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG. Nach dem Gesetzesentwurf des BMAS wird die Pflicht in Zukunft in § 16 Abs. 2 ArbZG geregelt sein.

Wann soll das neue Gesetz zur Pflicht der Arbeitszeiterfassung in Kraft treten?

Das neue Gesetz war ursprünglich noch für 2023 geplant, lässt allerdings weiterhin auf sich warten. Mit in Kraft treten des Entwurfs ist nun wohl frühestens im zweiten Quartal 2024 zu rechnen. Bis dahin wartet die Bundesregierung noch auf Projekt-Ergebnisse in der Frage, wie eine elektronische Arbeitszeiterfassung auch für kleinere Betriebe eingeführt werden kann, ohne diese übermäßig zu belasten.

Aber auch davor besteht die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung bereits.

Gilt die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung auch bei Vertrauensarbeitszeit?

Ja. Die Pflicht des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung bezieht sich laut BAG auf alle im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 1 BetrVG, also auch auf solche, die in Vertrauensarbeitszeit oder anderen Arbeitszeitmodellen tätig sind. Entgegen eines verbreiteten Irrglaubens, gelten die Arbeitszeitgesetze nämlich auch bei Beschäftigten in Vertrauensarbeitszeit. Vertrauensarbeitszeit bedeutet lediglich, dass Arbeitgeber zwar den Umfang der wöchentlichen oder monatlichen Arbeitszeit vorgeben, die genaue Einteilung der Arbeitszeit aber von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern selbst erfolgen kann. Auch hier müssen also etwa Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten eingehalten werden. Ohne eine Zeiterfassung ist eine Kontrolle der gesetzlichen Vorgaben aber kaum umsetzbar. Die Pflicht einer solchen Zeiterfassung ergibt sich daher dem BAG nach bereits jetzt aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG. Hieran wird sich auch mit dem neuen Gesetzesentwurf des BMAS nichts ändern. Auch dieser sieht bei Vertrauensarbeitszeit die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung vor.

Ist das „Stechuhr-Urteil“ des BAG das Ende der Vertrauensarbeitszeit?

Nein, Vertrauensarbeitszeit ist weiterhin möglich, auch mit Arbeitszeiterfassung. Es ist nicht neu, dass auch bei Vertrauensarbeitszeit Höchstarbeitszeiten, Ruhezeiten und andere arbeitszeitrechtliche Regeln eingehalten werden müssen. Um dies zu kontrollieren erscheint eine Zeiterfassung aber in der Regel notwendig. Eine Arbeitszeiterfassung steht einer Beschäftigung auf Vertrauensarbeitszeit aber grundsätzlich nicht im Weg. Eine selbstständige, flexible Arbeitszeiteinteilung ist auch mit einer solchen möglich. So auch das BAG (Urteil v. 23.9.2015 – 5 AZR 767/13): „Vertrauensarbeitszeit bedeutet nur, dass der Arbeitgeber auf die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit verzichtet und darauf vertraut, der betreffende Arbeitnehmer werde seine Arbeitspflicht in zeitlicher Hinsicht auch ohne Kontrolle erfüllen. Die Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit steht weder der Führung eines Arbeitszeitkontos entgegen noch schließt sie die Abgeltung eines aus Mehrarbeit des Arbeitnehmers resultierenden Zeitguthabens aus.“ Dieser Ansicht schließt sich das BMAS mit dem aktuellen Gesetzesentwurf vollumfänglich an. Dieser sieht die Möglichkeit zur Vertrauensarbeitszeit auch weiterhin ausdrücklich vor. Das wird bereits in der Begründung klargestellt und sodann im Entwurf des neuen § 16 Abs. 4 ArbZG-E konkretisiert. Hiernach hat der Arbeitgeber bei Vertrauensarbeitszeit, und wenn die Arbeitszeitaufzeichnung durch die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer erfolgt, „durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass ihm Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen zu Dauer und Lage der Arbeits- und Ruhezeiten bekannt werden“. Dies kann zum Beispiel durch die entsprechende Meldung eines elektronischen Arbeitszeiterfassungssystems erfolgen. Es besteht also auch hier eine Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeit, die aber auch von den Beschäftigten selbst vorgenommen werden kann. Der Arbeitgeber hat lediglich zu kontrollieren, ob die Erfassung ordnungsgemäß erfolgt und ob arbeitszeitrechtliche Verstöße vorliegen. Dies bedeutet daher weder das Ende der Vertrauensarbeitszeit, noch die Wiedereinführung einer Stechuhrpflicht.

Muss die Arbeitszeiterfassung in einer bestimmten Form oder durch ein bestimmtes System erfolgen?

Eine elektronische Arbeitszeiterfassung oder die Nutzung eines bestimmten Systems ist bisher nicht zwingend erforderlich. Auch bspw. ein handschriftlicher Stundenzettel kann daher (noch) genutzt werden. Gerade eine „Stechuhr-Pflicht“ besteht daher auf keinen Fall. Der Arbeitgeber ist laut EuGH und BAG verpflichtet ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Bei der Wahl des Zeiterfassungssystems sind lediglich die betroffenen Tätigkeitsbereiche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Eigenheiten des Unternehmens, etwa dessen Größe zu berücksichtigen. Eine unternehmensweit einheitliche Regelung muss dabei gerade nicht getroffen werden. Zudem ist es möglich, dass die Aufzeichnung an die Beschäftigten selbst weitergegeben wird. So ist bspw. auch im Homeoffice eine Zeiterfassung problemlos umsetzbar. Nach dem Gesetzesentwurf des BMAS soll sich dies nun allerdings ändern. Dieser sieht vor, dass die Zeiterfassung grundsätzlich elektronisch zu erfolgen hat, und zwar jeweils am Tag der Arbeitsleistung. Genauere Vorgaben enthält der Entwurf jedoch nicht, so dass die Erfassung sowohl durch spezielle Apps und Programme, aber auch durch eine einfache Excel-Tabelle möglich zu sein scheint. Nicht zulässig ist in Zukunft aber etwa der handschriftliche Stundenzettel, und zwar auch, wenn dieser anschließend gescannt werden sollte. Ausnahmen soll es hier lediglich für kleine Betriebe mit bis zu 10 Arbeitnehmenden geben, hier soll auch in Zukunft eine nicht elektronische Erfassung möglich sein. Und auch im Rahmen eines Tarifvertrags soll von der elektronischen Pflicht abgewichen werden können. Hier gilt es jedoch den Gesetzgebungsprozess weiterhin zu beobachten – die Bundesregierung lässt aktuell Studien zu der Frage durchführen, wie eine elektronische Arbeitszeiterfassung auch für kleinere Betriebe eingeführt werden kann, ohne diese übermäßig zu belasten.

Für größere Betriebe soll die Pflicht zudem nicht sofort gelten, sondern erst nach weichen Übergangsfristen. Diese richten sich nach der Größe des Betriebs und liegen zwischen einem und fünf Jahren, so dass Betriebe genügend Zeit haben, auf ein entsprechendes System umzustellen. Auch die Möglichkeit die Aufzeichnung direkt durch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchführen zu lassen, bleibt.

Welche Zeiten müssen erfasst werden? Was gilt als Arbeitszeit im Sinne der Zeiterfassung?

Die Arbeitszeiterfassungspflicht aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG bzw. aus § 16 Abs. 2 ArbZG-E des aktuellen Gesetzesentwurfs des BMAS bezieht sich auf sämtliche Arbeitszeiten. Das umfasst Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, einschließlich Überstunden und zwar auch dann, wenn diese außerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeiten oder eines Gleitzeitkorridors erbracht wurden, also bspw. vor 7 Uhr, nach 19 Uhr oder am Wochenende. Grund für die Zeiterfassungspflicht ist vor allem die Kontrolle über die Einhaltung der Höchstarbeitszeiten und Ruhezeiten gewährleisten zu können. Hierfür ist aber gerade auch wichtig, Zeiten außerhalb des normalen Arbeitszeitkorridors zu erfassen. Eine bloße Angabe der gearbeiteten Stunden am jeweiligen Arbeitstag („Montag: 8 Stunden“) ist deshalb nicht ausreichend.

Hat der Betriebsrat im Rahmen der Arbeitszeiterfassung ein Auskunfts- und Mitbestimmungsrecht?

Bei der Frage, ob ein Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen ist, hat der Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht, da dies ja gerade gem. § 3 ArbSchG bzw. in Zukunft gem. § 16 ArbZG gesetzlich verpflichtend ist. Bei Fragen darüber, wie die Zeiterfassung zu erfolgen hat, etwa in welcher Form oder wann steht dem Betriebsrat allerdings ein Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu. Kommt hier keine Einigung mit dem Arbeitgeber zustande, kann die Einigungsstelle angerufen werden. Ebenso hat der Betriebsrat hier ein Auskunftsrecht über die angegebenen Arbeitszeiten der Beschäftigten aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Dies gilt auch wenn diese in Vertrauensarbeitszeit angestellt sind.

Habe ich als Arbeitnehmerin/Arbeitnehmer ein Auskunftsrecht über meine aufgezeichnete Arbeitszeit?

Ja, gem. § 16 Abs. 5 ArbZG-E des Gesetzesentwurfs des BMAS hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf Verlangen über die aufgezeichnete Arbeitszeit zu informieren. Auf Verlangen hat der Arbeitgeber auch eine Kopie der Aufzeichnungen zur Verfügung zu stellen.

Welche Folgen hat es, wenn der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nicht nachkommt?

Aktuell ist bei Verstößen gegen die Pflicht zur Zeiterfassung wohl noch nicht mit Bußgeldern zu rechnen, da die Pflicht zur Zeiterfassung aus § 3 ArbSchG derzeit nicht bußgeldbewehrt ist. Etwas anderes ergibt sich lediglich dann, wenn die zuständige Arbeitsschutzbehörde im Vorfeld gemäß § 22 Abs. 3 Nr. 1 ArbSchG Maßnahmen zur Arbeitszeiterfassung angeordnet hat. Mit dem aktuellen Gesetzesentwurf des BMAS wird nun auch der Bußgeldkatalog des § 22 ArbZG angepasst. Hiernach soll es nach in Kraft treten des Entwurfs mit einer Geldbuße bis zu 30.000 € geahndet werden, wenn der Arbeitgeber

Welche Folgen hat es, wenn sich aus der Arbeitszeiterfassung ergibt, dass gegen arbeitszeitliche Regelungen wie die Höchstarbeitszeit oder die Ruhezeiten verstoßen wurde?

Hintergrund der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ist laut BAG sowie dem Gesetzesentwurf des BMAS die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zur Arbeitszeit, die dem Schutz der Beschäftigten dienen, zu gewährleisten. Ergeben sich hier aus der Zeiterfassung also Verstöße gegen diese, droht dem Arbeitgeber (ggf. nach Fristsetzung der zuständigen Arbeitsschutzbehörde) ein Bußgeld gem. § 22 ArbZG. Dem Betriebsrat stehen hier im Zweifel Unterlassungs- oder Durchführungsansprüche zu.